Sprinterbus –Zeilen oder Der Ballack ist ab

(Mittwochabend vor Fronleichnam, 14-6-2006)
Zwischen Merfeld, Kirche und Maria-Veen
Steht die Bild – Forderung im Raum,
Dass Ballack uns jetzt  verwöhnen müsse,
Mit Toren ist gemeint,
Nicht mit Gewürzkuchen,
den ich vom Steinofenbäcker erworben
und gerade unterwegs verschlungen habe.
Mit den Westfalen –Bussen (WB)
Kann man Erlebnisse
Weltmeisterlich erfahren,
Wird die abendliche Regenfahrt zum Varieté-Besuch
Mit Wackelkontakt,
Handy – Einlage und
Schuhe –Anziehen wie im Rodeo.
Draußen grüßen dazu Mohn und Kornblumen
Wippend vom Feldrain.
Nur der Misthaufen vom letzten Jahr
Verwittert kläglich.
Ein Melkstall steht ruiniert
An der Maria – Veener Kreuzung,
Als hätte er sich von den Pfundser Tschai – Wiesen
Ins Flachland verirrt,
die Fensteröffnung dem Abend entgegenhaltend
Wie ein blindes Auge.


was leben heißt

:aufstehen und
hinfallen
und
wieder aufstehen und
wieder hinfallen
und
noch einmal
aufstehen
und noch einmal
hinfallen
und
aufständig bleiben
und
hinfällig werden
und
immer wieder
aufstehen
bis zum hinfallen
aufständig hinfällig

:sein


Worte finden
Worte finden
für die Melange
aus Nebel und Licht
am frühen Morgen
dieses Septembertags
zwischen Spätsommer und Frühherbst
im Merfelder Bruch…

Worte finden
für die Mischung
aus verhangener Erwartung
und Gelassenheit,
die nicht unerschütterlich ist
angesichts der Katastrophen,
die das Radio meldet
im Sprinterbus
nach Münster…

Worte finden,
die den Nebel lichten
und die Erwartungen
nicht enttäuschen,
Worte finden,
die nicht schreien,
aber auch nicht einschläfern,
die weder Charme noch Schönheit
verschweigen
noch die Opfer von New Orleans
oder Sommières.


Im Sprinterbus (17-3-2004)
Am Straßenrand
betrauert morgens
ein Rebhuhn einen Fasan.
Die Sonne brennt
zum ersten Mal
für dieses Jahr.
Auf dem Weg
nach Merfeld
überholt unser Sprinterbus
einen Megaspace – Laster,
eine riesige rote Kiste
auf zehn Rädern:
Das Westmünsterland
beginnt scheinbar
am Interstate Highway kurz vor dem Atlantik.
Im Wintergetreide
picken zwei Dohlen
und eine Fasanenhenne
ungerührt von Geographie.
Die Kreisstadt der Nachbarn
versteckt an der Bushaltestelle
den Kuhacker elegant
in der niederdeutschen Dehnung: Coesfeld.
Die westfälische Parklandschaft
scheut Höhen und Tiefen
und übt daher
die doppelreihige Addition:
Äcker + Gräben + Weiden +
Gräben + Bäume + Sträucher +
Bäume + Schienen + Straßen +
Schienen + Höfe + Silos +
Höfe + Schilder +Windräder +
Schilder + Ampeln + Weidezäune.
Dazwischen schlängelt sich
der Kannebrocksbach
in einmaliger Kurvatur
Richtung Süden,
während der Sprinterbus – Doppeldecker
Richtung Borken davonsurrt.


Im Überlandbus (26-2-2003)
Baustelle hinter Baustelle
schwirrt am Aquarienfenster vorbei:
Ende Februar: Der Fahrer
sitzt im T-Shirt am Steuer
und hat die Dachluke geöffnet:
Der Frühling dringt
durch alle Poren
ins fahrende Treibhaus:
Die Sonne schlägt quer
durch die kahlen Bäume
Purzelbaum:
Das Autobahnbegleitgrün
wurde über Winter brutal geschoren
und wartet auf die Treibauszeit:
Die grau-grünen Felder
halten ihren Gülleatem an:
Hinter der grünen Sitzreihe
fährt ein Schild „Notausstieg“
durch den blauen Februarhimmel
und demonstriert bis zur Rückbank
gleich doppelt und dreifach
Achsensymmetrie:
Auf den Wiesen üben
die Maulwürfe
Siedlungsformen und primitiven Hochbau:
Ab Börnste übt der Sprinterbus
Kurvenfahren,
in ständigem Kontakt
zum vorauseilenden Hauptbus
und zur Funkzentrale:
„Kannst du mich noch sehen?“:
„Aber immer…“
Dazwischen droht der Deutschlandfunk
den 18 1/2 Fahrgästen
„mit passiver Unterstützung
der Amerikaner“:
Die üben gerade
die Durchquerung
von Wüstensand
und kurdischen Bergen
Richtung Babylon und Bagdad:
Unser Sprinterbus
fährt glücklicherweise
Richtung Borken und Bocholt
und setzt uns ganz ungetarnt
im postheroischen Zeitalter ab.


Vogelschwarm – Augenblicke
Schneckengleich zieht der Düsenjet
seine Leuchtspur am Abendhimmel.
Kaum entstanden
ist der rötliche Kondensstreifen
schon wieder verweht.
Ein Riesen – Vogelschwarm
fegt übers Schuldach
Richtung Stadtpark,
dem Flieger entgegen.
Der Schwarm scheint sich
zusammenzuballen,
treibt über den Bäumen
auseinander
und verliert sich hinterm Horizont.
Zurück bleiben
horizontal schwebende
Cirrocumulus – Wolken
und leichte Gedanken
an die Vergänglichkeit
von Wasserdampf und Blicken.
Dazu unregelmäßige Dohlenschreie
im Ohr.

(Geschrieben in Borken, Oktober 2001)


Glasscherben
Eines Tages
als ich dasaß
voller Flucht – Gedanken
und nichts geschah,
füllte mich ein wahnsinnig rhythmisches Hundegebell –
Glasscherben
dachte ich
oder durcheinanderwirbelnder Metallschrott
und ich setzte mich hin
und schrieb dieses Gedicht
voller Hundegebell
und Glasscherben,
das die Banalität eines Sommernachmittags
in die Flucht jagt
mit ein paar wahnsinnig rhythmischen Hundegebell – Zeilen,
die sich wie Glasscherben
in dein Gehör bohren,
Sommer, Motorenlärm und Affenhitze
hochwirbeln
und nichts zurücklassen als
das zerbrechliche Gefühl
von Hundegebell und
Glasscherben.

26-7-1998

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